LEBENSWEG EINER KÜNSTLERIN

Marianne Fieglhuber-Gutscher (Wien 1886 – 1978 Graz)

 

Julia Schwaiger

 

Künstlerinnen teilten bis ins 20. Jahrhundert hinein ein schwieriges Schicksal. Sie wurden von ihren männlichen Kollegen oftmals belächelt, nicht ernst genommen und aus dem öffentlichen Kunstbetrieb ausgeschlossen. Es bedurfte eines starken Willens, diesen Weg zu wählen und sich gegen die herrschenden Rollenbilder durchzusetzen, um die eigene Position als Frau in der Kunst zu stärken. Ein Exempel für diesen starken Willen und dieses Durchsetzungsvermögen ist die Malerin Marianne Fieglhuber-Gutscher.

 

Als Tochter eines angesehenen Wiener Kaufmanns, der eine Gemischtwarenhandlung betreibt, am 12. August 1886 in Wien geboren, wächst sie gemeinsam mit drei Schwestern und einem Bruder in behüteten Verhältnissen auf. In einem autobiografischen Text beschreibt sie sich in ihrer Kindheit als ausgelassen und wild, obgleich sie für das „Vornehme“ und die Anmut einzelner Damen schwärmt. Schon immer fühlt sie sich zur Kunst hingezogen, und als ihr ihre damalige Erzieherin nebst Büchern einen Skizzenblock zum Geburtstag schenkt, intensiviert sie ihre Leidenschaft. Sie besucht die Bürgerschule im 6. Wiener Gemeindebezirk Mariahilf, in der ihr ihre Lehrerin bereits eine Karriere als Malerin prophezeit. Als Jugendliche überlegt sie, den Lehrberuf zu ergreifen, bevor sie sich für die Kunst entscheidet. Während die Mutter ihre „Mädchen gut verheiratet sehen“ will, vertritt der Vater die Meinung, dass „die Mädchen etwas lernen [sollen], denn bei vier Mädels war keine große Aussicht, daß alle vier heirateten“. So kann sie schließlich ihren Wunsch den Eltern gegenüber durchsetzen und beginnt mit 18 Jahren ihr Studium an der Kunstschule für Frauen und Mädchen, die von Ludwig Michalek geführt wird. Diese 1897 von den Malerinnen Olga Prager, Rosa Mayreder und Tina Blau mitbegründete Institution ist die erste öffentliche Kunstschule für Frauen in Wien, welche sich davor lediglich privat in Malerei, Bildhauerei oder Grafik unterrichten lassen konnten. Zwischen 1904 und 1909 lernt sie im Rahmen der Ausbildung die Technik der Radierung bei Ludwig Michalek und wird dessen Assistentin in der Radierklasse. Später erhält sie Unterricht in Malerei bei Rudolf Jettmar und Max Kurzweil. In diesen Jahren tritt sie auch dem von Michaleks Schülerinnen gegründeten „Radierklub Wiener Künstlerinnen“ bei und beteiligt sich im Verbund des Klubs an mehreren Ausstellungen, unter anderem in Wien, Salzburg und Leipzig.

 

Das aufkeimende Selbstbewusstsein von Künstlerinnen, die sich nicht länger ausschließen und vom männlichen Kunstbetrieb abhängig machen wollen, zeigt sich auch in der Gründung von Schulen und Vereinen. So entsteht 1910 die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs, der Marianne Fieglhuber beitritt. Sie beteiligt sich an deren Ausstellungen, wie jener 1917 in der Liljevalchs Konsthall in Stockholm. Ebenso lassen sich erste Studienreisen in diese Jahre datieren: 1913 nach Frankreich und 1914 nach Norwegen und Schweden.

 

Am 9. Juni 1914 heiratet Marianne Fieglhuber ihren Cousin Eduard Gutscher, mit dem sie eine Wohnung in der Sandwirtgasse 1 im 6. Wiener Gemeindebezirk bezieht, welche sie gleichzeitig als Atelier nutzt. Am 28. Juni werden Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie in Sarajewo ermordet, und Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wird auch Eduard Gutscher eingezogen und das junge Paar jäh getrennt. In diesen schwierigen Jahren werden die gemeinsamen Kinder, 1915 die Tochter Marianne und 1917 der Sohn Eduard, geboren. Bedingt durch die Entbehrungen jener Zeit und die hinzugekommenen familiären Verpflichtungen bietet sich Fieglhuber-Gutscher kaum Raum für ihr künstlerisches Schaffen. Ihr Mann kehrt zudem, wie sie selbst schildert, stark verändert aus dem Krieg zurück. Er verhält sich dominant und jähzornig und ist den Kindern gegenüber autoritär und streng. Für die Malerei seiner Frau hat er kein Verständnis und lehnt diese regelrecht ab, was erklärt, wieso in dieser Zeit nur wenige Werke entstehen. Ihre Arbeit setzt sie dennoch, soweit es ihr möglich ist, im häuslichen Atelier fort, wie eine Ausstellungsbeteiligung im Künstlerhaus 1919 zeigt. Hier ist sie mit Ölbildern, die Porträts ihrer Tochter und ihres Sohnes zeigen, vertreten.

 

Für den Eintrag ins Österreichische Künstlerlexikon schreibt Fieglhuber-Gutscher 1947 rückblickend über ihre Ausbildung und die Zeit danach: „Ich besuchte die Kunstschule für Frauen und Mädchen und versuchte später auf eigene Faust etwas vorwärts zu kommen.“ Durch diesen hohen Anspruch an sich selbst und den Drang hin zur Kunst emanzipiert sie sich weiter. Zudem erlaubt die gute finanzielle Lage der Familie die Anstellung einer Köchin und einer Haushälterin, was der Malerin wiederum die Möglichkeit gibt, sich vermehrt der Kunst zu widmen. Um „weiter vorwährts zu kommen“, nimmt sie privaten Unterricht bei den jüngeren Malerkollegen Robin Christian Andersen und Egge Sturm-Skrla und entwickelt ihren Stil weg von jugendstilhaften Elementen hin zum Expressionismus. Ihrem Kunstwollen entsprechend, aber wohl auch durch die Umstände bedingt, malt sie vor allem Porträts ihrer Familie und ihres Umfeldes. Es entsteht eine Charakteristik in ihrem Schaffen, in welchem sie sich ab nun vor allem dem Malen von Menschen zuwendet. Fieglhuber-Gutscher setzt sich auf diesem Weg im hauseigenen Atelier auch gegen ihren Mann immer mehr durch. In einem Interview sagt die Malerin: „Mein Atelier, das sich hier in meiner Wohnung befindet, und in dem ich die schönsten Stunden meines Lebens vollbracht habe, denn sie gehörten voll und ganz mir und meinem künstlerischen Schaffen, ist ohne irgendwelcher besonderen Kontrolle.“ Gleichzeitig ist sie sich ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter bewusst und sagt angesprochen auf ihre Aktdarstellungen: „Begreiflicherweise kann ich nur den weiblichen Akt malen. Sie werden einsehen, daß ich als verheiratete Frau und als Mutter nicht gut mich über den männlichen Akt getrauen kann. […] Verdacht auf mich lenken, warum schließlich mich und meine Familie damit ins schlechte Licht setzen?“ Diesen gesellschaftlichen Zwängen folgend arbeitet die Künstlerin mit wenigen und vor allem weiblichen Modellen, denen sie immer wieder etwas Neues abgewinnen kann. Sie erklärt, dass sie das eigenartige Spiel der Farben reize und dass sie nicht eher ruhen könne, ehe sie den Akt naturgetreu ohne jegliche Schmeichelei auf der Leinwand habe. Das Besondere an ihren Akten ist sicherlich auch der weibliche Blick auf den Frauenkörper. Ohne Voyeurismus und ungeschönt erfasst sie die femininen Formen und bettet die Figuren in Szenerien stiller Vertrautheit.

 

Auffällig ist, dass in fast allen Menschenbildern der Künstlerin Frauen im Mittelpunkt stehen. Bis auf Darstellungen ihres Sohnes und vereinzelte Porträts stellt Fieglhuber-Gutscher Frauen aus ihrem Umfeld dar, meist in die Geborgenheit eines Raumes – wohl ihres Ateliers – eingebettet. Diese Motivwahl lässt an die Variationen desselben Themas in den Werken ihres Malerkollegen Josef Floch denken, der seine Modelle ohne sichtbaren Bezug zueinander in einem Raum positioniert. Während bei Floch eine Melancholie mitschwingt, suggerieren die Werke von Fieglhuber-Gutscher eine sichere Verbundenheit unter den Dargestellten, ein Miteinander und einen Zusammenhalt - Werte, die sich vielleicht auch in der erstarkten Weiblichkeit der 1920er und 1930er Jahre begründen. In ihren Selbstporträts tritt die Malerin souverän auf und dominiert den Bildraum, wie das „Bildnis mit Kakteen“ zeigt. „… soweit die vielen Pressenotizen es mir beweisen können, scheine ich zum großen Teil das Richtige getroffen zu haben“, sagt sie über sich und erhält neben positiven Kritiken der Presse auch durch Ausstellungen im Künstlerhaus, der Secession oder der Galerie Würthle Anerkennung vom Publikum.

 

In den 1920er Jahren findet Fieglhuber-Gutscher zu ihrem charakteristischen Stil eines expressiven Farbrealismus. Das Kolorit gewinnt an Bedeutung in ihrem Schaffen und wird zum prägenden Element bis in ihr Spätwerk. Sie ist begeistert von den Werken Oskar Kokoschkas, hat Kontakt zu Josef Dobrowsky und ist durch ihre Ausstellungsbeteiligungen neben den Künstlerinnen jener Zeit auch mit den männlichen Kollegen in Verbindung. In der farbintensiven Expressivität stehen ihr Werk und sie als selbstbewusste Malerin diesen ebenbürtig gegenüber.

 

Durch die politischen Entwicklungen Ende der 1930er Jahre wird ihr Schaffen erneut von außen erschwert. Die Malerin steht dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland äußerst kritisch gegenüber, nicht zuletzt da auch einige ihrer Freunde Juden sind. Zunächst bleibt die Familie noch in der Wohnung in Wien. Um ausstellen und verkaufen zu können, tritt sie 1939 der Reichskammer der bildenden Künste bei. 1943 wird eine Ausstellung ihrer Gemälde allerdings durch ebendiese abgelehnt, da ihr Werk den „Kulturrichtlinien des Führers“ nicht entspricht. Sie zieht sich in ein kleines Haus in Kasten, ihren niederösterreichischen Zweitwohnsitz bei Böheimkirchen, zurück. In diesen Jahren entstehen nur wenige Werke, die vorwiegend die Landschaft ihrer Umgebung zeigen. Mit Ende des Krieges kommt Fieglhuber-Gutschernach Wien zurück und nimmt ihre Arbeit und Ausstellungstätigkeit wieder auf. Sie präsentiert ab 1948 ihr Werk in Ausstellungen des „Neuen Hagenbundes“ in der Wiener Secession.

 

Ab den 1950er Jahren pendelt sie zwischen Wien, Kasten und Gratkorn bei Graz. Während sie sich in Wien und Kasten die Wohnung und das Haus später mit der Familie ihres Sohnes teilt, besucht sie in Gratkorn regelmäßig ihre inzwischen verheiratete Tochter und unterstützt diese mit ihren zwei kleinen Kindern. In der Steiermark wird sie ebenso als Künstlerin aktiv und tritt der Vereinigung bildender Künstler Steiermarks bei.

1956 bekommt sie ihren ersten Auftrag für ein Werk im öffentlichen Raum. Für die Fassade der neu errichteten Wohnhausanlage in der Rechberggasse 16-20 im 10. Wiener Gemeindebezirk schafft sie das Mosaik „Familie“. 1968 gestaltet die Künstlerin zudem ein Glasfenster für das Zisterzienserstift in Rein. Es entsteht anlässlich der 800-Jahr-Feier der Diözese Graz Seckau und zeigt die letzte Kommunion des Heiligen Eberhard, Erzbischof von Salzburg.

 

In den 1950er Jahren und vor allem mit dem Ableben ihres Mannes 1955 beginnt eine neue Freiheit für die Künstlerin. Sie unternimmt zahlreiche Reisen, die sie nach Skandinavien, Belgien, Holland, Schottland sowie in den Süden nach Spanien, Griechenland und Ägypten führen. In ihrem Skizzenblock hält sie die Eindrücke fest und macht sich Notizen zu dem Erlebten. In dieser Zeit kommt es zudem zu weiteren Beteiligungen an Gruppenausstellungen sowie zu Einzelschauen, unter anderem im Grazer Joanneum 1960, 1969 und 1974.

 

Als weltoffener, kritischer und wissbegieriger Mensch verehrt Fieglhuber-Gutscher die Künste in all ihren Formen. Sie interessiert sich für Literatur und liest Werke von Simone de Beauvoir, Paul Claudel, Jean-Paul Sartre, Ernest Hemingway, Marcel Proust und Franz Werfel und macht dazu Aufzeichnungen in ihren Notizbüchern. Eine weitere Leidenschaft gilt der Musik. Sie notiert akribisch Konzertbesuche und Radiosendungen und hält kleinere und private Darbietungen von Chören und Musikern in ihren Gemälden fest. Oftmals stellt sie auch ihre eigenen Kinder und Enkelkinder musizierend dar.

Ebenso finden religiöse Themen Einzug in ihr Schaffen. Mehr als am Glauben ist sie an den figürlichen Darstellungen interessiert, die sie kritisch auf der Suche nach Perfektion bearbeitet und teils sogar dieselben Darstellungen leicht verändert in mehreren Gemälden ausführt. Eine besondere Auffälligkeit im Vergleich mit anderen Künstlern ist, dass in ihren religiösen Werken neben dem Jesuskind kaum eine männliche Figur gezeigt wird. In der Bilderwelt von FieglhuberGutscher sind Frauen Hauptakteurinnen des Göttlichen.

 

Wie ein roter Faden zieht sich die Präsenz von Frauen in all ihren Erscheinungen durch das Werk der Künstlerin. Mit einem starken Willen beseelt, trotzt sie den Hindernissen, die ihr in den Weg gelegt werden, vertritt ihre Überzeugungen und überzeugt mit ihrer Kunst. Bereits 1930 erkennt Otto Hans Joachim in seinem Bericht über Fieglhuber-Gutscher ihr Können und schreibt: „Nur ein großer Schmeichler der Frauen konnte sagen, daß das Weib nur ewig am Anfange der Kunst stehenbleiben würde. Wie unrecht dieser große Schmeichler hat, zeigen am besten die Arbeiten der Marianne Fieglhuber-Gutscher, die unter den österreichischen Malern bald zu den besten zählen wird.“ Die Republik Österreich verleiht der Künstlerin 1969 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1976 wird ihr der Professorentitel verliehen. Marianne Fieglhuber-Gutscher stirbt am 20. Jänner 1978 in Graz im Alter von 91 Jahren. Kurz vor ihrem Tod widmen die Österreichische Galerie Belvedere und nach ihrem Tod das Joanneum Graz der Künstlerin eine Retrospektive.

 

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